Neues Versammlungsgesetz betrifft Leipzig besonders – Kritik von der Polizei

Das Demonstrationsverbot am Völkerschlachtdenkmal soll fallen, Polizisten sollen Proteste leiten dürfen: Sachsen plant Änderungen im Versammlungsgesetz. Leipzig als Demo-Hauptstadt im Freistaat würden diese besonders treffen. Die Meinungen dazu sind geteilt.

Das geplante neue Versammlungsgesetz des Freistaates Sachsen wird von Demonstrierenden und Ordnungsbehörden unterschiedlich beurteilt. Auch innerhalb der Polizei gibt es keine einheitliche Meinung dazu. Während Teile der Beamten die Novelle kritisch sehen, begrüßte Leipzigs Polizeipräsident René Demmler wichtige Punkte.

Für Leipzig ist das neue Gesetz besonders relevant, denn in der Stadt gibt es sachsenweit die meisten Proteste. Rund 1000 waren es 2021/2022 innerhalb von zwölf Monaten. Eine besonders umstrittene Änderung im Versammlungsgesetz betrifft nur einen kleinen Teil dieser Demos: 128 von 1000 wurden vorher nicht angemeldet, bei manchen fand sich auch vor Ort niemand, der die Versammlung leitete. Künftig sollen solche Proteste dennoch gesetzlich geregelt stattfinden können – indem Polizei oder Versammlungsbehörde die Leitung übernehmen.

Demo auch ohne Leiter: Polizeigewerkschaften dagegen

Jürgen Kasek, Grünen-Stadtrat in Leipzig und regelmäßig Anmelder von Demonstrationen, sieht das grundsätzlich positiv. „Es ist immer gut, wenn Versammlungen stattfinden können“, sagte er. Mit der Regelung könne festgezurrt werden, was in der Praxis ohnehin passiere: Auch Demos ohne Leitung würden oft von der Polizei abgesichert.

Sachsenweit hat es das etwa bei vielen Protesten gegen die Corona-Maßnahmen gegeben. Dennoch ist offen, wie konkret die Behörden in solchen Fällen eine Demo leiten sollen. „Linke Proteste würden sich wahrscheinlich eher auflösen“, sagte Kasek. Die zuständige Leipziger Versammlungsbehörde äußerte sich auf Nachfrage nicht dazu.

Dem Innenministerium zufolge gehe es mit der Regel zu Demo-Leitung nicht darum, Proteste zu lenken, sondern um die Stärkung der Versammlungsfreiheit und um Gefahrenabwehr. Leipzigs Polizeipräsident Demmler wies darauf hin, dass im Gesetz auch weiterhin grundsätzlich ein Versammlungsleiter vorgesehen sei. Er begrüßte es aber, dass künftig „bei bestimmten Konstellationen, bei denen kein Leiter oder Veranstalter von vornherein bekannt ist, das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit trotzdem gewahrt ist.“

Die beiden Polizeigewerkschaften sehen die neuen Regeln dagegen kritisch. „Wer eine Versammlung anmeldet, muss auch dafür verantwortlich sein“, sagte Cathleen Martin, Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft in Sachsen (DPolG).

Demos am Völkerschlachtdenkmal nicht grundsätzlich verboten

Auch eine zweite für Leipzig relevante Änderung im geplanten Gesetz ist umstritten. Bislang können Demos an bestimmten Orten verboten werden, unter anderem an der Dresdner Frauenkirche und dem Leipziger Völkerschlachtdenkmal.

Bevor es den Passus gab, um die Jahrtausendwende herum, hatten Neonazis mehrfach versucht, vor das Völkerschlachtdenkmal zu ziehen. Anfang 2022 liefen Querdenken-Anhänger mehrfach in Richtung des Monuments – letztlich erfolglos. Wegen verfassungsrechtlicher Bedenken soll das Demo-Verbot dort nun gestrichen werden.

Darauf blicken die Polizeigewerkschaften unterschiedlich. Für Jan Krumlovsky, Sachsen-Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) war der Passus schon immer ein „halb gewalktes Konstrukt“ mit vielen Ausnahmen. Zudem: „Demonstrationen an solchen Orten muss eine Demokratie aushalten“, sagte er. Dagegen findet DPolG-Chefin Cathleen Martin, dass historische Orte weiter geschützt werden müssen.

Regelung zu Demo-Blockaden vorgesehen

Im Entwurf des neuen Versammlungsrechts, der der LVZ vorliegt, ist noch eine weitere für Leipzig wichtige Stelle. In der Stadt gibt es immer wieder Versuche, Proteste mit Blockaden aufzuhalten. Oft bewerten Sicherheitsbehörden das als eine unzulässige Störung. Im neuen Gesetz soll nun definiert werden, was eine solche Störung „insbesondere“ ist – unter anderem die Anwendung von Gewalt.

„Sollte es künftig nicht mehr als Störung gewertet werden, wenn man sich friedlich vor eine Versammlung setzt, dann wäre das eine gute Klarstellung“, sagte dazu Demo-Anmelder Kasek. Das dürfte allerdings Auslegungssache bleiben: Der Gesetzesentwurf führt weiter auch die bloße „Verhinderung“ von Protesten als unerlaubte Störung an.


 
Geplante Gesetzesnovelle – Neues Versammlungsrecht in Sachsen: Polizei muss Ordner nicht akzeptieren

Die Landesregierung ändert die rechtlichen Grundlagen für Demonstrationen im Freistaat. Man wolle die Versammlungsfreiheit stärken, sagt sie. Dennoch gibt es auch neue Einschränkungen.

Die sächsische Landesregierung will das Versammlungsrecht ändern. Künftig solle die Versammlungsfreiheit gestärkt werden, verspricht das Innenministerium. Ist das so? Die LVZ beantwortet die wichtigsten Fragen zur geplanten Gesetzesnovelle.

Warum wird das Versammlungsgesetz geändert?

Die schwarz-grün-rote Koalition hatte sich 2019 im Koalitionsvertrag darauf verständigt, das sächsische Versammlungsgesetz „praxisgerechter und verständlicher“ zu gestalten. Eigentlich hatte man sich dafür eine Frist bis 2021 gesetzt. Auch wegen der Corona-Pandemie dauerte es aber länger. Die Gesetzesnovelle geht nun in die parlamentarische Beratung: Dabei werden Experten und Verbände zu den geplanten Änderungen befragt. Das neue Gesetz könnte dann Ende 2023/Anfang 2024 vom Landtag beschlossen werden.

Was wird geändert?

Eine ganze Menge – auch weil einzelne Punkte des bestehenden Gesetzes durch die Rechtssprechung überarbeitet werden müssen. Innenminister Armin Schuster (CDU) spricht aber nicht von einer „Sanierung oder Reparatur“, sondern von einem gänzlich neuen Gesetz: „Wir wollen mit diesem Gesetz den Schutz der Versammlungsfreiheit stärken.“

Einer der wichtigsten Inhalte des künftigen Gesetzes betrifft den Kooperationsgedanken: Die Versammlungsbehörden sollen in allen Phasen auf eine Kooperation mit dem Anmelder hinwirken. Sie sollen ein Kooperationsgespräch anbieten, um alle wesentlichen Umstände der Versammlung zu diskutieren. Dabei kann es beispielsweise um die Route oder mögliche alternative Orte gehen. „Je mehr Kooperation, desto besser stellt sich derjenige, der die Versammlung machen möchte“, sagt Schuster. Aber: Eine Kooperationspflicht für die Anmelder einer Demonstration gibt es nicht. Der Innenminister betont zudem, dass die sächsischen Behörden bereits jetzt auf Kooperationsgespräche setzten.

Was ändert sich während Demonstrationen?

Das Innenministerium will die Regeln für Spontandemonstrationen ändern, die formal keinen Versammlungsleiter haben. Die Teilnehmer dieser Art von Kundgebung sollen vor Ort einen Leiter bestimmen können. Die Landesregierung will damit auch Lehren aus den Corona-Demonstrationen der sogenannten Spaziergänger ziehen.

Falls eine Versammlung keinen Leiter bestimmt, sollen die Versammlungsbehörde oder die Polizei dessen Aufgaben übernehmen. Die Behörde und die Polizei sollen aber nicht die Demonstration generell lenken, sondern bei Gefahrensituationen eingreifen können. Auch falls die Rechte Dritter betroffen sind, würden sie einschreiten.

Schuster nennt als Beispiel eine Demonstration beim „Tag X“ in Leipzig. Der Versammlungsanmelder drang damals mit seinem Megafon kaum zu den Tausenden Demonstranten durch. „Dann hat die Polizei ihm angeboten, das Lautsprecherfahrzeug der Polizei zu verwenden, weil die den nötigen Lautstärkedruck hat“, sagt Schuster. „Das hat er abgelehnt. Hätten wir keinen Versammlungsleiter gehabt, wären die Lautsprecherdurchsagen durch die Behörde gemacht worden.“

Sind neben Versammlungsleiter andere Personen im Fokus?

Es wird in dem Gesetz auch eine Regelung geben, die Ordner betrifft. Konkret soll es Kriterien geben, die bestimmte Personen in bestimmten Situationen vom Ordnerdienst ausschließt. Die Kriterien will das Innenministerium im parlamentarischen Beratungsverfahren diskutieren und festlegen. Schuster macht aber klar, in welche Richtung die künftigen Regelungen zielen sollen: „Ich könnte mir schon extremistische Einstufungen vorstellen, die einen Ordner für ungeeignet erscheinen lassen für ganz bestimmte Versammlungslagen.“ Auch Straftatbestände sollen laut Innenministerium herangezogen werden können.

Bisher gilt mancherorts ein Demo-Verbot: Bleibt es dabei?

Im jetzigen Gesetz ist ein Versammlungsverbot oder zumindest eine Beschränkung für Demonstrationen an bestimmten Orten und bestimmten Tagen vorgesehen. Dabei geht es unter anderem um die Frauenkirche in Dresden und das Leipziger Völkerschlachtdenkmal. Die Regelung war vor Jahren eingeführt worden, um rechtsextremistischen Demonstrationen an diesen Örtlichkeiten keine Bühne zu geben. Der Paragraf ist allerdings rechtlich umstritten. Deswegen wird es eine ähnliche Regelung im neuen Gesetz nicht geben. Das sei nicht mehr erforderlich, argumentiert das Innenministerium. Die Versammlungsbehörden würden etwaige Einschränkungen sowieso nicht auf diesen Passus stützen.

Darf man Demos weiterhin stören?

Gegendemonstrationen sind mit dem neuen Gesetz weiterhin erlaubt, falls sie Missfallen über eine andere Kundgebung äußern oder diese zum Beispiel mit Zwischenrufen stören. Es soll aber dennoch ein Störungsverbot geben: Dieses Verbot wird laut Innenministerium solche Störungen umfassen, die auf die Vereitelung oder erhebliche Behinderung der Durchführung einer Versammlung zielen. Es geht um „reine Verhinderungsaktionen“.